Quantcast
Channel: Flatworld - der Außenblog von Clemens Wergin » Krieg
Viewing all articles
Browse latest Browse all 6

Irak-Krise: Warum der Westen nicht immer an allem schuld ist

$
0
0

Irak-Krise: Warum der Westen nicht immer an allem schuld ist

Selbstkritik ist eines der Wesensmerkmale demokratischer Gesellschaften. Nur wer bereit ist, sich und das eigene Handeln infrage zu stellen, kann aus Fehlern lernen. Deshalb hebt jetzt wieder der Chor derjenigen an, die genau wissen, was der Westen alles falsch gemacht hat im Irak. Das Sykes-Picot-Abkommen von vor 100 Jahren (siehe P.S.), das angeblich ein künstliches Staatsgebilde geschaffen hat, wird genauso verantwortlich gemacht wie entweder zu viel westliches Engagement (Bushs Irak-Krieg) oder zu wenig (Saddam Hussein 1991 nach dem Kuweit-Krieg nicht gleich gestürzt zu haben oder Obamas Irakvergessenheit nach dem Rückzug von 2011). Das Problem dieser Analysen: sie drehen sich immer nur um uns.

Das ist einerseits paternalistisch und auch ein wenig rassistisch, weil wir die dortigen Völker nicht als Autoren ihrer eigenen Geschichte begreifen. Es  verdeckt aber vor allem die hausgemachten Probleme der Region.

Tatsächlich leidet der Irak an der Unfähigkeit nahöstlicher Gesellschaften, Pluralität zu ertragen und zu organisieren. Viele Staaten der Region funktionieren nach dem Prinzip „the winner takes it all”. Wenn eine Gruppe an die Macht kommt, beutet sie den Staat aus allein zugunsten der eigenen Klientel und versucht, die anderen von Macht und Pfründen fern zu halten.

Das war das Herrschaftsprinzip des sunnitischen Diktators Saddam Hussein, dessen brutalste Unterdrückung von Schiiten und Kurden jenen Hass säte, der das Land heute nicht zur Ruhe kommen lässt. Auf diesem Prinzip beruht auch die Herrschaft von Assads Alawiten, die Syrien in den Bürgerkrieg führte und den sunnitischen Extremismus nährte, der nun den Irak überrennt. Dort haben die unter Saddam unterdrückten Schiiten und ihr Premier Nuri al-Maliki das sektiererische Prinzip ebenfalls nie überwunden. Weil sie Regierung, Verwaltung und Armee von Sunniten gesäubert haben, gibt es nun viele sunnitische Stämme und andere Zukurzgekommene, die sich der radikalen Isis angeschlossen haben.

Natürlich hätte auch Amerika Fehler vermeiden können. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Präsident, der im syrischen Bürgerkrieg nicht intervenieren wollte, um einen zweiten Irak in Syrien zu vermeiden, nun wegen Syrien einen zweiten Irak im Irak bekommt. Andererseits haben die Amerikaner al-Maliki seit Jahren gewarnt, dass seine sektiererische Politik das Land zur Explosion bringen könnte, aber er wollte ja nicht hören. Nun wird der Westen schon aus Eigeninteresse helfen müssen, Isis einzudämmen. Wir sollten uns aber nichts vormachen: wenn die maßgeblichen regionalen Akteure einen 30-jährigen Krieg wollen, dann wird es ihn auch geben. Und verantwortlich dafür ist nicht in erster Linie der Westen, sondern die, die sektiererischen Hass immer wieder neu aufputschen und instrumentalisieren.

P.S.: Nachtrag zu Sykes-Picot. Es ist zwar richtig, dass Franzosen und Briten den Nahen Osten nach dem Ersten Weltkrieg aufgeteilt haben und die modernen Staatsgrenzen zogen. Es ist aber gänzlich falsch zu behaupten, der Irak sei ein künstliches Gebilde. Tatsächlich bildete Mesopotamien schon seit der Frühzeit eine geographische Einheit.  Und mindestens seit der Antike, etwa in den vergangenen 2500 Jahren,  hat das Gebiet, in dem heute Schiiten, Kurden und Sunniten und viele kleine Minderheiten leben, fast immer zu derselben politischen Entität gehört, wenn auch nicht immer in exakt denselben Grenzen.

Flatworld - der Außenblog von Clemens Wergin


Viewing all articles
Browse latest Browse all 6