Obama plant einen Krieg light gegen Syrien
Überraschung ist eine der wichtigsten Elemente der Kriegsführung. Wer einen Gegner an einem unerwarteten Ort, früher als erwartet, mit unbekannten Truppenansammlungen, unkonventionellen Methoden oder neuen Waffen angreift, hat größere Aussichten, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen und ihm militärisch zu schaden. Aus dem Blickwinkel militärischer Zweckdienlichkeit ist das, was die US-Regierung in Sachen Syrien derzeit gerade tut, also schlicht kontraproduktiv. Der bevorstehende US-Angriff gegen das Assad-Regime ist “der am besten vorab verkündete Raketenangriff der Geschichte”, schreibt etwa US-Nahostexperte und Bloomberg-Kolumnist Jeffrey Goldberg.
Nicht nur ist bekannt, dass der Angriff wohl in den kommenden Tagen oder Wochen passieren wird, auch die bevorzugte Waffenart – Marschflugkörper vom Typ Tomahawk, die von Schiffen oder U-Booten im Mittelmeer abgefeuert werden – ist durchgesickert sowie eine Liste von Zielen, die die USA anvisieren könnten. Das Assad-Regime hat also genug Zeit, sich darauf vorzubereiten.
Wenn es wirklich darum ginge, “Krieg” gegen Assad zu führen, wie nun in Deutschland oft zu hören ist, dann hätten die Amerikaner die Sache selten dämlich angepackt. Tatsächlich geht es um etwas ganz anderes. Nach allem, was bisher in Washington durchgesickert ist, plant die Obama-Regierung die mini-invasive Variante eines Militärschlages.
Die folgt zwei eng begrenzten Zielsetzungen: Erstens soll Assad einen Preis bezahlen für den Einsatz von Chemiewaffen, um das Regime davon abzuhalten, diese internationale geächtete Waffenart in Zukunft noch großflächiger gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen. Es geht also um Abschreckung und darum, Assads Kosten-Nutzen-Kalkulation in Sachen Chemiewaffen zu verändern. Zweitens müssen die Amerikaner ihre Glaubwürdigkeit als wichtiger nahöstlicher Akteur wieder aufrichten, die in den vergangenen Jahren stark gelitten hat.
Wenn eine Supermacht eine rote Linie in den nahöstlichen Sand zeichnet, wie Obama es in Sachen Chemiewaffeneinsatz getan hat, dann muss sie auch handeln, wenn diese rote Linie überschritten wird. Zumindest, wenn sie in Zukunft noch als Supermacht ernst genommen werden will.
Einige Experten drängen den Westen schon seit längerem, in den syrischen Bügerkrieg einzugreifen, um eine noch größere humanitäre Katastrophe und die Entstehung eines Somalias am Mittelmeer zu verhindern. Etwa Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz.
Ischinger hat als Diplomat einst eine wichtige Rolle bei der Befriedung der Balkankriege gespielt und er sieht viele Parallelen zwischen den Zerfallskriegen in Ex-Jugoslawien und dem Auseinanderbrechen Syriens. Seine Hoffnung ist, dass die Militärschläge einen ähnlichen Effekt auf Baschar al-Assad haben könnten wie die Nato-Bombenkampagne sie in den 90ern auf den serbischen Kriegsherrn Slobodan Milosevic hatte. Dem musste die Entschlossenheit des Westens erst mit militärischen Angriffen (Operation “Deliberate Force” der Nato) verdeutlicht werden, bevor Milosevic zu politischen Verhandlungen in Dayton bereit war.
Ein politische Lösung ähnlich wie das Dayton-Abkommen, das den Krieg in Bosnien beendete, würden die Amerikaner auch in Syrien bevorzugen. Denn da der Westen so lange gezögert hat, die moderate Opposition in Syrien zu unterstützen muss er nun fürchten, dass die erstarkten radikalen Elemente unter den Rebellen nach einem Sieg gegen Assad die Oberhand behielten und Syrien zu einem Aufmarschgebiet der Dschihadisten würde. Die beste Option bestünde also darin, eine politische Einigung beider Seiten anzustreben, bei der weite Teile des syrischen Staatsapparates intakt blieben.
Nur dazu müsste Assad und seinen Sponsoren Russland und Iran erst einmal klar gemacht werden, dass sie diesen Krieg nicht gewinnen können. In den vergangenen Monaten ist es Assad mithilfe von Kämpfern der Hisbollah und finanzieller und militärischer Unterstützung aus Teheran und Moskau gelungen, die Dynamik des Bürgerkrieges zu drehen und in die Offensive zu kommen. Um diese Dynamik zu brechen und Assad zu einem politischen Einlenken zu bewegen, wäre jedoch eine weit umfangreichere militärische Kampagne nötig als die, die derzeit in Washington, Paris und London erwogen wird.
Nicht Bosnien, sondern die gezielten amerikanischen und britischen Militärschläge gegen Saddam Husseins Irak unter Bill Clinton und Tony Blair im Jahr 1998 scheint daher die Blaupause für Syrien zu sein. Damals ahndeten die Alliierten die anhaltenden Verstöße Saddams gegen die Bestimmungen des Waffenstillstandes nach der Befreiung Kuwaits 1991.
Der Irak hatte jahrelang gegen die UN-Auflagen zur Aufgabe seiner Massenvernichtungswaffenprogramme verstoßen, weshalb sich Briten und Amerikaner nach mehrfachen vergeblichen Vermittungsversuchen gezwungen sahen, Saddams Massenvernichtungswaffenprogramme auf militärischem Wege durch Luftangriffe zu dezimieren.
Der damalige US-Verteidigungsminister Bill Cohen fasste die Ziele der 70 Stunden andauernden Militäraktion so zusammen: “Wir wollen Saddam Husseins Fähigkeit reduzieren, Massenvernichtungswaffen einzusetzen, wir wollen seine Möglichkeiten einschränken, Krieg gegen seine Nachbarn zu führen und wir wollen die Konsequenzen aufzeigen die es hat, wenn man gegen internationale Auflagen verstößt.” Tatsächlich gelang es den Alliierten damals nachhaltiger als zunächst geglaubt, wichtige Teile von Saddams Massenvernichtungsprogrammen zu zerstören und die Iraker auf diesem Feld nachhaltig zu entmutigen. Nach dem Desaster des von Clintons Nachfolger geführten Irakkrieg von 2003 gelten die Luftangriffe von 1998 heute vielen als die bessere Alternative. Ihr Argument ist, dass man Saddam Husseins Irak und seine WMD-Programme auch mit gelegentlichen Luftschlägen hätte eindämmen können, ohne sich in den Morast eines Bodenkriegs zu begeben.
Und genau darum geht es heute auch Barack Obama. Syrien soll abgestraft, sein Wille und seine Fähigkeit zum Einsatz von Massenvernichtungswaffen soll eingedämmt werden – und das, ohne dass sich die Amerikaner damit tiefer in den syrischen Bürgerkrieg verwickeln.
Diesem Ziel dient auch die so geschwätzige Ausbreitung von Details der Angriffe. Indem die USA von vorneherein deutlich machen, dass ihre Angriffe nicht auf einen Regimewechsel hinzielen, versuchen sie Assad davon abzubringen, eskalierend zu antworten. Denn wenn Assad tatsächlich so dumm wäre, amerikanische Angriffe mit Schlägen gegen Israel zu vergelten, dann würde es auch den Amerikanern sehr schwer fallen, nicht doch tiefer einzusteigen, als sie eigentlich wollen.
Obama versucht also tatsächlich ein Paradoxon: Assad anzugreifen, ohne entscheidend in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen. So wie ein Lehrer, der einen prügelnden Schüler auf dem Pausenhof zurechtweist, weil der unter der Gürtellinie geboxt hat. Und der sich dann nach Schelte und Strafe zurückzieht, damit die Kontrahenten sich weiter oberhalb der Gürtellinie grün und blau schlagen können.
Die Botschaft einer solchen Operation an Assad und seine Helfershelfer wäre: Ihr könnt weiter Syrer und andere umbringen, solange ihr es nur nicht mit chemischen und biologischen Waffen tut.
Befriedigend ist diese Haltung Washingtons nicht. Aber sie ist derzeit offenbar das äußerste, zu der eine durch zwei Kriege wund und müde gewordene Supermacht sich aufraffen kann.